Brexit und E-Commerce II:
Folgen für UK-Shops – Die politische Perspektive
von Esther Schwan – 15 Min. Lesedauer
zuletzt aktualisiert 09.02.2024
Seit dem 31. Januar 2020 ist die Europäische Union um ein Mitglied ärmer. Das Vereinigte Königreich ließ sich von Protest, Gegenreferendum und politischem Säbelrasseln nicht umstimmen und zog den Brexit knallhart durch.
Oder auch nicht? Denn bekanntlich blieb allen Beteiligten das Horrorszenario eines harten Brexit dank im wortwörtlich letzten Moment geschlossener Handels- und Kooperationsabkommen erspart.
Dennoch gibt es reichlich Spekulationen, wie es in Zukunft weitergeht zwischen UK und EU. Wird Großbritannien sich, befreit vom Kropf der europäischen Verwaltung, zu vergangener Größe aufschwingen können? Macht Rishi Sunak sein Ende des Eurotunnels tatsächlich zu? Und welche Auswirkungen hat der Brexit auf den E-Commerce?
Nachdem wir uns bereits mit den juristischen Folgen des Brexit für den Onlinehandel beschäftigt haben, werfen wir heute einen Blick auf die politische Seite der Trennungsgeschichte. Unsere Fragen beantwortet dabei Patrick Schwalger. Der studierte Politikwissenschaftler arbeitete unter anderem bereits in direkter Nachbarschaft des EU-Parlamentes in Brüssel. Für den Händlerbund war er als Experte für Politik und E-Commerce tätig und ist heute Unternehmensberater.
Ursache und Wirkung: Die politischen Folgen des Brexit für den Handel
Was also hat sich im Onlinehandel tatsächlich getan? Gibt es das disruptive politische Beben, mit dem viele gerechnet haben? Patrick sieht die momentane Situation differenziert:
“Die wesentlichen Veränderungen sind eine Nummer größer und eher volkswirtschaftlicher Natur. Dazu gehören etwa der Streit um die Fischereizonen in der Nordsee oder die Frage, wie mit Nordirland verfahren werden soll. Diese und ähnliche Konfliktpunkte sind es, die den Briten das Leben schwer machen.“
Für die Endverbraucher:innen hat sich sowohl im UK als auch auf europäischer Seite aber ebenfalls einiges verändert: Es kommt zu Lebensmittelknappheit in den Supermärkten in UK. Der Versand aus dem und in das Vereinigte Königreich dauert lang und Bestellende müssen mit Zollgebühren rechnen.
Für Shops aus UK lohnt sich also die Zusammenarbeit mit einem erfahrenen Fulfillment-Partner. Alaiko ermöglicht auch Shops aus UK unkompliziertes europäisches Fulfillment: Sie können die Auftragsabwicklung auslagern und profitieren somit von deutlich schnelleren Lieferzeiten. Die Produkte lagern bereits in der EU und werden von dort versendet, müssen nicht einzeln durch den Zoll geschickt werden. Auch das Retourenmanagement wird durch die Zusammenarbeit mit einem EU-Fulfillment-Dienstleister viel einfacher und zufriedenstellender für die Kund:innen.
Werfen wir also einen Blick auf die angekündigten Hauptziele des EU-Austritts, ihren momentanen Umsetzungsstand und die realen politischen wie wirtschaftlichen Folgen:
Brexit-Hauptziel #1: Unabhängigkeit – Wie ist es um die neue Souveränität in der Gesetzgebung bestellt?
Kurz gesagt: Eines der größten Versprechen der Brexiteers konnte bislang nicht wirklich umgesetzt werden. Echte Unabhängigkeit von der vermeintlichen Gängelung durch brüsselschen Regulierungswahn wurde bislang nicht erreicht. Patrick dazu:
„Zugegeben, der Austritt liegt noch nicht wirklich lange zurück. Vielleicht gelingt es der UK also noch, die Rhetorik der Brexit-Befürworter in die Tat umzusetzen und sämtliche EU-Richtlinien durch vermeintlich agilere Gesetze zu ersetzen.
Tatsächlich wurden in jüngster Vergangenheit erste Schritte in diese Richtung unternommen. Seit März 2022 wird an der Brexit Freedoms Bill gearbeitet, die vor allem den Bürokratieabbau zum Ziel hat und jährliche eine Milliarde Pfund einsparen soll.
Wirklich vorangekommen ist das Projekt allerdings noch nicht. Anstatt sich vom sogenannten Retained EU Law zu befreien, werden sogar weitere Regelungen aus Brüssel in UK übernommen.
Politisch gesehen bleibt dem Vereinigten Königreich tatsächlich wenig Anderes übrig, als sein digitales Handelsrecht auch in Zukunft weitestgehend EU-konform zu halten. Denn wer in den Schengen-Raum verkaufen möchte, unterliegt den dort vorgeschriebenen Gesetzen. Wenn wir jetzt noch hinzurechnen, dass 2021 über 40 Prozent der britischen Exporte in die EU gingen, klärt sich die Frage nach der zukünftigen politischen Ausrichtung fast von allein.
Brexit-Hauptziel #2: Wettbewerbsvorteil – stehen UK-Unternehmen seit dem Austritt besser da?
Wenn Großbritannien es bislang nicht geschafft hat, sich von den Regularien der Europäischen Union zu befreien, wie steht es dann um das zweite große Versprechen der Brexiteers, dem angekündigten Wettbewerbsvorteil für nationale Unternehmen? Auch hierzu hat Patrick eine eindeutige Antwort:
„Um es kurz zu machen: ein Wettbewerbsvorteil hat sich für die britische Wirtschaft noch nicht ergeben. Es ist eher das Gegenteil der Fall. Das Vereinigte Königreich leidet in vielen Bereichen unter einer akuten Versorgungskrise. Die Bilder von kilometerlangen Lkw-Schlangen, die wohl jeder schon mal gesehen hat, sind immer noch Realität. Die Verwaltungskosten steigen, die Bürokratie nimmt zu, der Fachkräftemangel und die Inflation sind noch deutlich einfacher zu spüren als in Kontinentaleuropa. Viele dieser Konsequenzen sind durch die Pandemie allerdings einfach übertüncht worden.“
Der eigenen Wirtschaft hat das UK mit seinem Austritt bis dato also keinen Gefallen getan. Ob Unternehmen sich von der Insel verabschieden und ihren Weg aufs Festland suchen, dazu liegen laut Patrick momentan zwar bislang keine Zahlen vor. Aus eigener Erfahrung weiß er allerdings, dass sich zumindest im E-Commerce noch kein größerer Shop vollständig zurückgezogen hat. Wahrscheinlich, weil die regulatorischen Hürden hier immer noch deutlich geringer sind als im stationären Handel.
Brexit-Hauptziel #3: Weniger Steuern, weniger Regularien – Wird die EU bald mit Billigware aus UK überschwemmt?
Noch vor dem Austritt Großbritanniens aus der EU gingen Befürchtungen durch Europa, dass die Insel zukünftig zum Steuerparadies werden könnte oder durch eine Aufweichung der strengen Produktvorgaben der Gemeinschaft sämtliche Konkurrenten preislich weit unterbieten könnte.
Eingetreten ist laut Patrick genau das Gegenteil:
„Waren aus UK sind für europäische Verbraucher:innen dank Zoll und längeren Lieferzeiten in den letzten Monaten eher unattraktiver geworden. Von einem Preisdumping kann aktuell also keine Rede sein.
Auch, dass Vorgaben bezüglich der Produktion geändert werden, halte ich für äußerst unrealistisch. Wenn Großbritannien die EU als wichtigsten Handelspartner nicht verlieren möchte, sollten alle Waren weiterhin den dort vorgeschriebenen Standards entsprechen – selbst wenn sie keine CE-Kennzeichnung mehr tragen.“
Auch die USA, mit zwölf Prozent der zweitgrößte Importeur britischer Waren, legt Wert auf Verbraucherschutz. Es ist also nicht damit zu rechnen, dass das Vereinigte Königreich von heute auf morgen alle Standards über Bord wirft, um zukünftig China Konkurrenz zu machen.
Und wie steht es um die Steuern? Bekommt die Nordsee bald ihre eigenen Cayman Islands? Auch das ist äußerst unwahrscheinlich, denn wie gesagt, kostet der Brexit bislang eher eine große Menge an Geld, als dass er selbiges einführe. Selbst die 13 Milliarden Pfund, die Großbritannien nun nicht mehr Jahr für Jahr nach Brüssel überweisen muss, werden kaum für eine Entlastung sorgen. Denn im Gegenzug erhielt das Land Förderungen in Höhe von 12,28 Milliarden Pfund.
Weitere Hürden: Die Zollproblematik bei der Wareneinfuhr
Aus handelspolitischer Sicht war der Brexit für das United Kingdom bis dato also eher ein Schuss ins eigene Knie. Zwar bleibt der E-Commerce dank Handelsabkommen und Retained EU Law vorläufig von tiefschürfenden Einschränkungen verschont, muss allerdings auch ein paar Federn lassen.
Genau wie unser Rechtsexperte Lazar Slavov sieht Patrick die größte Schwierigkeit für den Onlinehandel im Zoll. Alles Wissenswerte rund um EORI-Nummer, Preisangaben und Ursprungserzeugnisse bei der Ausfuhr eurer Produkte könnt ihr gerne im ersten Beitrag dieser Reihe nachlesen.
Allerdings hält Patrick noch ein paar weitere wichtige Information für uns bereit, die insbesondere mit der Ausfuhr von Gütern nach UK zu tun haben:
„Auch ein britischer Shop muss seine Waren irgendwo herbekommen. Schließlich wird bei Weitem nicht alles auf der Insel produziert. Deshalb möchte ich alle UK-Shops auf zwei wesentliche Aspekte hinweisen:
Eure Handelspartner im Ausland können die Einfuhrabwicklung nicht eigenständig übernehmen. Sie benötigen zwingend einen Vertreter. Dabei kann es sich etwa um eine Spedition, einen Paketdienstleister oder einen Zollagenten mit Sitz in UK handeln. Ihr kommt euren Partnern also sehr entgegen, wenn ihr für sie entsprechende Kontakte herstellt. Vertraut bitte nicht darauf, dass alles weiterläuft, wie gewohnt.
Weiterhin war seitens der britischen Regierung eigentlich geplant, die Einfuhr von pflanzlichen und tierischen Produkten ins Vereinigte Königreich deutlich zu erschweren oder sogar ganz zu verbieten. Handelt ihr mit solchen Waren, unterliegt ihr momentan einer Gnadenfrist – zumindest, wenn ihr aus der EU importiert.
Denn geplant war der Start der strengen Zollkontrollen für SPS-Waren aus der Europäischen Union eigentlich für Juli 2022, wurde aber – angeblich wegen der russischen Invasion der Ukraine – auf Ende 2023 verschoben. Dies ist bereits die dritte Verschiebung. Es bleibt also abzuwarten, ob das UK nächstes Jahr Nägel mit Köpfen macht oder sich angesichts der aktuellen politischen Situation erneut etwas ändert.“
Quo vadis Britannia?
Für den Handel von und nach UK wäre ein ‚Nein‘ zum Brexit vermutlich die bessere Option gewesen. Denn auch, wenn der E-Commerce momentan weniger stark leidet, als seine stationären Kollegen, bleibt die politische Situation volatil. Die jüngsten Weltereignisse werden kaum zu einer Stabilisierung beitragen.
„Ich kann allen Händler:innen nur raten, die Entwicklungen weiter genau im Auge zu behalten“, sagt daher auch unser Experte Patrick Schwalger. Ein Patentrezept für einen Brexit-Erfolg existiere leider nicht.
Dennoch solltet ihr keinesfalls den Kopf in den Sand stecken, denn womöglich ergeben sich aus dem Debakel auch neue Chancen: Nicht alle eure Marktbegleiter werden sich mit dem neuen bürokratischen Aufwand auseinandersetzen, sich um Im- und Exportzölle kümmern oder die Preise allein für europäische Kunden anpassen wollen. Viele werden ihr Geschäft daher in Zukunft vollständig auf den Inlandshandel beschränken.
Wer hier in die Bresche springt und Waren weiterhin über den Ärmelkanal verschickt, sieht sich womöglich deutlich weniger Konkurrenzdruck ausgesetzt. Dass Onlinehandel trotz Zöllen erfolgreich sein kann, zeigen Stores, die ihren Hauptsitz etwa in der Schweiz haben.
Wenn ihr euch gleichzeitig noch auf die alten Händlertugenden von Kundenservice, Transparenz und einzigartigem Angebot konzentriert, ist der Brexit bald nur noch Makulatur.
Titelbild von Reinaldo Sture. Weiteres Bild von Tom Fisk.